„Es läuft überdurchschnittlich gut“

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EINSATZ Tagesfeuerwehr in Annerod vor zwei Jahren ins Leben gerufen / Mit 14 Aktiven gestartet und alle sind noch dabei

ANNEROD – Das Problem dürfte viele Feuerwehren betreffen: Wenn es tagsüber in A-Dorf brennt oder ein sonstiger wichtiger Einsatz ansteht, sind zuwenig Aktive verfügbar. Diese wohnen zwar in A-Dorf, arbeiten aber in B-Dorf oder C-Stadt. Angesichts der gesetzlich vorgeschriebenen Hilfsfrist von zehn Minuten ist für sie unsinnig, bei der Arbeit alles hinzuwerfen, zum Auto zu sprinten und zum eigenen Feuerwehrgerätehaus zu fahren. Bis sie dort eintreffen, sind die Kameraden längst am Einsatzort. Aber was ist mit Feuerwehrfrauen und -männern, die in B-Dorf oder C-Stadt wohnen, aber in A-Dorf arbeiten? Sie könnten doch ausrücken, wenn es dort brennt. Das ist die Grundidee hinter der Tagesfeuerwehr Annerod. Diese wurde vor zwei Jahren ins Leben gerufen. Zeit für ein Bilanzgespräch mit Wehrführer Tobias Hennemuth, seinem Stellvertreter Torben Günther und Gemeindebrandinspektor Jens Richmann.

„Es läuft überdurchschnittlich gut“, freute sich Hennemuth. Mit 14 Männern begann die Tagesfeuerwehr und alle 14 sind noch dabei. Dabei hatte er gedacht, dass sich die Zahl nach einiger Zeit auf einem niedrigeren Niveau einpendeln würde. Doch weit gefehlt.

Partner bei der Tagesfeuerwehr sind die Firmen Rovema, Prolit und SMB Schröder im Anneröder Gewerbegebiet. Sie stellen ihre dort beschäftigten Feuerwehrmänner für die Einsätze und die monatlichen Übungen frei. Mit den anderen Betrieben nahm die Wehrführung auch Kontakt auf, doch entweder arbeiten dort keine aktiven Feuerwehrleute oder deren Bereitschaft für das Mitmachen in der Tagesfeuerwehr war nicht gegeben. Dennoch gibt es regelmäßige Kontakte, denn es kann ja sein, dass eine Feuerwehrfrau oder ein Feuerwehrmann aus B-Dorf oder C-Stadt gerade frisch bei einer Firma anfängt und das Konzept der Tagesfeuerwehr noch nicht kennt. Laut Hennemuth hat nur eine Firma grundsätzlich kein Interesse an dem Thema.

B-Dorf und C-Stadt sind im Anneröder Fall weit verteilt. Die meisten unter den 14 Aktiven der Tagesfeuerwehr kommen aus dem Landkreis Gießen, aber es gibt auch welche aus dem Lahn-Dill-Kreis und dem Vogelsbergkreis. Und die räumliche Entfernung zum Wohnort bedeutete, dass ein ganz praktisches Problem gelöst werden musste. Der Anneröder Feuerwehrmann fährt nach einem Einsatz nach Hause, duscht, zieht sich um und fährt zurück zur Arbeit. Bei einem Aktiven aus B-Dorf oder C-Stadt ist das selbstredend Unsinn. Also musste die Feuerwehr weitere Spinde besorgen für die Alltags-Wechselkleidung. Das klappte per Tauschgeschäft mit einer Feuerwehr, die Spinde übrig und Bedarf an Regalen hatte, die wiederum die Anneröder nicht mehr benötigten.

Die Tagesfeuerwehr erfordert auch eine andere Art der Alarmierung, berichteten Hennemuth und Günther. Es gebe einen eigenen Ruf auf dem Meldeempfänger. Alarmiert wird zwischen 6 und 18 Uhr nur dann, wenn es um einen Einsatz geht, bei dem die Wehr innerhalb von zehn Minuten vor Ort sein muss. Die Tagesfeuerwehr kommt also nicht, wenn die Katze im Baum sitzt oder wenn im Keller das Wasser steht. „Wir rufen die Leute nur ab, wenns pressiert“, verdeutlichte der Wehrführer.

Einmal im Monat üben die Aktiven der Tagesfeuerwehr. Teilweise kommen sie auch zu den normalen Übungen der Einsatzabteilung. Sinnvoll ist das auf jeden Fall, denn in seiner Heimatfeuerwehr war man vielleicht mit der einen oder anderen Einsatzsituation noch nicht konfrontiert oder es geht um den Umgang mit bestimmten Gerätschaften. Aufgrund der Zuständigkeit für B 49 und Autobahn, das relativ große Gewerbegebiet oder das Seniorenheim ist Annerod kein Einsatzort wie jeder andere.

Das Konzept überzeugte 2014 auch die Jury des Innovationspreises „Feuerwehr der Zukunft“, der von den Stadtwerken Gießen in Zusammenarbeit mit dem Kreisfeuerwehrverband Gießen verliehen wird. Die Anneröder gewannen.

Und wo sind nun die anderen Wehren, die das Konzept übernehmen? Hennemuth weiß von Feuerwehren in Linden und Hungen sowie im Landkreis Marburg-Biedenkopf, die die Idee aufgegriffen und an ihre Situation angepasst haben. Eine Anfrage habe es aus Bayern gegeben. Und was ist mit Steinbach oder Albach? Gemeindebrandinspektor Richmann wies darauf hin, dass das Ganze auch zur örtlichen Struktur passen müsse. Zwar bemühe man sich um die Umsetzung in den anderen Ortsteilen, doch zum Beispiel in Steinbach gebe es in größeren Betrieben keine aktiven Feuerwehrleute oder sie seien regelmäßig auf Montage oder es fehle das Interesse.

Trotzdem hat das Konzept durch die Homepage der Anneröder Wehr, die Präsenz in den sozialen Medien oder schlicht Mundpropaganda einen hohen Bekanntheitsgrad. „Das Problem ist überall das gleiche. Die Idee wird dann weitergetragen. Und das war unser Ziel“, erklärten Hennemuth und Günther. Ihnen ist wichtig, zu betonen, dass die 14 Tagesfeuerwehrmänner durch ihre Tätigkeit in Annerod nicht woanders fehlen. Wegen der weiten Entfernung zum Wohnort standen sie ihrer Heimatfeuerwehr bisher tagsüber nicht zur Verfügung.

Und auch die beteiligten Firmen haben etwas davon. Mitarbeiter, die Führungskräfte der Feuerwehr sind, können die jährlich geforderte Brandschutzeinweisung der Kollegen übernehmen und auch Brandschutzhelfer ausbilden.

„Ein tolles, gelungenes Projekt“, lobte der Gemeindebrandinspektor. „Als Leiter der Feuerwehr bin ich beruhigt, weil ich weiß, dass tagsüber genügend Aktive zur Verfügung stehen.“

 

Bericht aus dem Onlineportal des Gießener Anzeigers vom 24.09.2016 – Volker Böhm